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DiscoursPublié le 22 novembre 2025

ETH-Tag 2025

Zurich, 22.11.2025 — Festrede von Bundesrat Beat Jans

La parole prononcée fait foi (ce contenu n'est pas disponible en français)

Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrter Herr Rektor
Liebe aktuelle und ehemalige Studierende
Geschätzte Gäste aus Forschung, Wirtschaft und Politik

Wenn ein Politiker feierlich vereidigt wird, sitzen in den ersten Reihen diejenigen, denen er es zu verdanken hat. Bei mir sassen zuvorderst meine Frau und meine beiden Töchter. Auch mit dabei im Bundeshaus waren aber mein Bauernlehrmeister und ein ETH-Professor. Dieter Imboden ist eine Koryphäe. Der ehemalige Präsident des Nationalfonds hat die Umweltwissenschaften an der ETH geprägt. Und ja, damit hat er auch mich geprägt. Dass er dabei war, hat mich sehr gefreut.

Ich freue mich auch, heute – am wichtigsten Tag im ETH-Jahr – hier bei Ihnen zu sein. Hierherzukommen, ist für mich auch ein wenig ein Nachhausekommen – jedenfalls so weit, wie das für einen fussballbegeisterten Basler in Zürich möglich ist.

Als Bundesrat und Justizminister bin ich auch Hüter unserer Institutionen. Und dazu zählt ohne Zweifel auch die ETH. Sie war und ist untrennbar mit unserem Bundesstaat verbunden. Mit der Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums reagierte die junge Schweiz 1855 auf einen technischen und wissenschaftlichen Nachholbedarf im Lande – heute würde man sagen: Fachkräftemangel. Der junge Bundesstaat brauchte diese Fachkräfte. Visionäre Grossprojekte wie der Bau des Gotthardtunnels oder die Juragewässerkorrektion – beides Husarenstücke der Ingenieurskunst – verliehen ihm Legitimation. Die ETH ist ein Kind des Bundesstaates und einer der ersten gutschweizerischen Kompromisse: So war die Spezialisierung auf technische Fächer ein Zugeständnis an die mächtigen Stadtkantone, welche Konkurrenz für ihre Universitäten fürchteten.

Bis heute trägt die ETH die DNA des Bundestaates und seiner Verfassung in sich: Freiheit, Gemeinwohl, Vielfalt, Kohäsion – es sind verbindende Werte. Und es sind aufklärerische Werte: Bildung, Rationalität, Wissenschaftlichkeit, Fortschritt.

Geschätzte Rationalistinnen und Rationalisten

Wenn Sie sich auf der Welt umschauen, stellen Sie fest, dass diese Werte gerade gewaltig unter Druck stehen: Wissenschaft wird zur Meinung degradiert, Bildung und Forschung werden verhöhnt. Autoritäre Kräfte, Nationalismus, Populismus und Abschottung sind auf dem Vormarsch. Offenheit wird als naiv verunglimpft, Zusammenarbeit als Schwäche. Zollschranken werden hochgezogen. Und das alles in einer Welt, die immer mobiler, vernetzter und gefühlt kleiner wird – während Herausforderungen wachsen und vielschichtiger werden. Es ist absurd! Als würde die Komplexität unserer Welt verschwinden, wenn man sie nur hartnäckig genug ignoriert.

Wir leben in verrückten, unsicheren Zeiten. Das ist unsere Challenge. Wir müssen unsere Ideen und Werte verteidigen. Das ist unsere Verantwortung, denn: «Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist die unsere.» Das hat Jean-Paul Sarte gesagt, der 1964 den Nobelpreis bekommen hätte, ihn aber partout nicht wollte. Das Crazy!

Liebe Kommilitonen und Kommilitoninnen

Ich habe mein Studium an der ETH 1994 abgeschlossen. Damals gab es noch kein Jugendwort des Jahres. Bildschirme konnte man noch nicht in der Hand halten. Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen, genau wie die Umweltwissenschaften. Wir waren Pioniere – oder Versuchskaninchen. Studiengang und Departement waren höchst umstritten und die Arbeitsmarktchancen der Absolventinnen und Absolventen unwägbar.

Als Studierendenvertreter konnte ich mich früh im Decision Shaping üben und meine Frustrationstoleranz erhöhen. Gleichzeitig habe ich aber auch gelernt, dass wir gemeinsam etwas bewegen können, wenn wir dranbleiben. Erfahrene und junge Wilde zusammen, verbunden in der Überzeugung, dass die Zeit für den Wandel gekommen ist. Dank der Hartnäckigkeit von Imboden, Schwarzenbach, Fischlin, Frischknecht, Hirsch und vielen anderen sowie einer Horde entschlossener Studis etablierte sich das Departement aller Widerstände zum Trotz.

Leider gibt es in für Umweltwissenschaften keinen Nobelpreis. Trotz hoher Relevanz, ganzheitlicher Perspektive und interdisziplinärem Ansatz: Der weite Blick aufs Ganze und auf Zusammenhänge. Die Offenheit, Grenzen zu überwinden. Beides habe ich damals mitgenommen. Und noch etwas: Komplexen Problemen weicht man nicht aus. Man löst sie. Indem man analysiert, einordnet und gewichtet. Was zählt, sind faktenbasierte Resultate.

Diesen Ansatz brauchen wir auch heute. Grenzen, auch Landesgrenzen, dürfen den Blick nicht verengen. Viele Herausforderungen können wir nur international oder auf europäischer Ebene lösen. Wir sind nicht nur Nachbarn der EU, sondern teilen Werte.

Dazu gehören Wissenschaftlichkeit und auch die Überzeugung, dass Vielfalt uns stärker macht. Wir gehören zu Europa dazu.

Angesichts der geopolitischen Lage sind die Beziehungen zur EU noch wichtiger, als sie es ohnehin schon sind. Ich weiss, dass Sie das wissen. Nirgends ist internationale Zusammenarbeit, Mobilität und Austausch über Landesgrenzen hinweg so selbstverständlich wie in der Wissenschaft – und so wichtig. Das EU-Vertragspaket, das wir ausgehandelt haben, ist deshalb ein Durchbruch: Wir haben ab sofort wieder vollen Zugang zu Horizon und Erasmus. Das ist ein grosser Verhandlungserfolg. Wir sichern den Zugang zum EU-Binnenmarkt, wahren direkte Demokratie, Service Public und Lohnschutz. Und wir festigen in unsicheren Zeiten enge Beziehungen, von denen beide Seiten enorm profitieren. Die Weiterentwicklung der Bilateralen macht die Schweiz handlungsfähiger, stärker und sicherer.

Aber noch ist nichts in trockenen Tüchern. Der Entscheid fällt an der Abstimmungsurne. Nicht erst 2027 oder 2028, sondern schon nächstes Jahr: Die «10-Millionen-Schweiz-Initiative» der SVP ist die erste Hürde. Verlieren wir diese Abstimmung, wird es für das EU-Vertragspaket sehr schwierig. Und der Zugang zur europäischen Forschungsgemeinschaft ist wieder in Gefahr.

Wir müssen aufzeigen, warum wir Zuwanderung haben – und brauchen. Menschen kommen wegen der hohen Lebensqualität, freien Arbeitsplätzen, wegen der guten Infrastruktur. Und ja, auch wegen der ETH. Wenn wir keine Zuwanderung mehr wollten, müssten wir Wirtschaftsentwicklung und die Innovation abwürgen, die Infrastruktur verlottern lassen, die Pünktlichkeit der Züge und die Qualität unserer Schulen verschlechtern, unsere Seen verschmutzen und die Steuern erhöhen. Und wissen Sie was? Wir müssten die ETH schliessen. Laut Ranking die beste Hochschule auf dem Kontinent. Ein Magnet. ein Leuchtturm. Mit 22 Nobelpreisen.

Liebe Gäste aus Forschung, Wirtschaft und Politik

Wir müssen uns jetzt auf das besinnen, was uns stark macht. Die ETH braucht eine offene und vernetzte Schweiz. Eine Schweiz, die auch heute die Alpen durchbricht, statt sich in ihnen zu verschanzen. Eine Schweiz, die weiss, dass sie im Alleingang nicht bestehen kann. Die sich etwas zutraut und mit Europa selbstbewusst zusammenarbeitet. Eine Schweiz, die weiss, dass völlige Unabhängigkeit Einsamkeit bedeutet.

Und die Schweiz braucht eine ETH, die ihre Werte und die Fahne der Wissenschaft hochhält und alternativen Wahrheiten mit Evidenz begegnet. Eine ETH, die forscht, strebt und Wissen vermehrt. Ob Klima, KI, Desinformation oder Cyberwar – die Herausforderungen unserer Zeit meistern wir mit Knowhow. So verteidigen wir unsere Souveränität, nicht mit der Hellebarde. Unsere Hochschulen sind die Rohstofffirmen, welche die Schweiz wirklich braucht. Und wir alle brauchen Neugierde und Offenheit. Offenheit gegenüber Zuwanderung und die Offenheit, mit anderen zusammenzuarbeiten.

Erinnern Sie sich an den 9. Februar 2014? Damals wurde die Masseneinwanderungsinitiative angenommen – mit 50,3 Prozent. Viele haben erst gemerkt, wie wichtig ihr Einsatz gewesen wäre, als es zu spät war. Darum schliesse ich mit Blick auf die anstehenden Volksabtimmungen mit einem Zitat: «Bescheidenheit schickt sich für den Gelehrten, aber nicht für die Ideen, die in ihm wohnen und die er verteidigen soll». Es stammt von der einzigen Person, die je zwei Nobelpreise in zwei unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen erhalten hat. Es war – und vielleicht ist das kein Zufall – eine Frau: Marie Curie.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.